Geisternetze – Falle oder Habitat

Im Sommer 2014 entwickelte Terra Mare das Projekt „Geisternetze – Falle oder Habitat“; Träger des Projektes ist die Scientific Diving Association (SDA e. V.).

Das von der Bingo Umwelt Lotterie und vom Holtenauer Verlag geförderte Projekt sieht eine Kooperation von Forschungs- und Sporttauchern vor, in der der Unterwasserraum der westlichen Ostseeküste nach verlorenen gegangenen Fischereigeräten, sogenannten Geisternetzen, abgesucht wird. Weiterhin entsteht in den nächsten Wochen ein Meldesystem auf der Internetseite www.geisternetze.de, in dem Fischer, Segler und Taucher die Sichtung oder den Verlust von Fischereigeräten registrieren können, was zukünftig eine gezielte Bergung der Netze ermöglicht wird.

Vermutlich gehen jährlich bis zu 10.000 Netze in der Ostsee verloren und werden zur Todesfalle für Meeressäuger, Fische, Seevögel und Weichtiere (Foto unten links, Kraus). Beispielsweise konnten Teilnehmer der Feldschule von Terra Mare an der Nordseeküste häufig beobachten, dass sich Vogelkadaver oder Kadaverteile am Strand in Netzresten verwickelt hatten (Foto unten rechts Ewersen). Auch die Untersuchung von Mageninhalten brachte immer wieder Plastikteile hervor.

Geisternetz Vogelkadaver

Neben der funktionalen Gefährdung durch die herrenlosen Fischereigeräte tritt ein weiteres Problem aufgrund der immensen Haltbarkeit der Kunststoffnetze und durch deren Imprägniermittel auf. Fischernetze bestehen in der Regel aus Nylon (Polyamid), Polyester oder Polyäthylen und sind dadurch extrem langlebig und verrotten nicht. Nach Angaben des Bundesumweltamtes kann es bis zu 450 Jahre dauern, bevor die Netze völlig zerfallen.

Während dieser Zeitspanne werden sie durch Salzwasser, UV-Licht und Reibungen in immer kleinere Netzbestandteile zerlegt. Hierbei entweichen auch Inhaltsstoffe wie Bisphenol A, Weichmacher und Imprägniermittel, die das Erbgut und den Hormonhaushalt von Meereslebewesen schädigen können. Zudem haben die Mircopartikel die Eigenschaft Giftstoffe an ihren Oberflächen anzulagern, was über die Aufnahme dieser Partikel in den Nahrungskreislauf erhebliche Auswirkungen auf marine Ökosysteme hat. Beispielsweise gelangen ɥ-Millimeter große, im Wasser schwebende Mikropartikel bei Muscheln durch die Filtration des Atemwassers in den Ernährungstrakt und werden im Körpergewebe eingelagert. Diese Tiere sind wiederum Nahrungsgrundlage vieler Fischarten, die damit auch die Plastikpartikel inkorporieren. Da die verwitterten Netzbestandteile teilweise ein ähnliche Größe und ein ähnliches Schwimmverhalten wie Plankton aufweisen, werden sie zudem auch direkt von Planktonfiltrierern (z. B. Walarten, Walhai, Atlantischer Hering, Sardine, usw.) aufgenommen. Die Magensäure der Tiere zersetzt die Partikel weiter und deren Bestandteile werden fraktioniert. Am Ende landen die schädigenden Kunststoffteilchen über die Weitergabe von Trophiestufe zu Trophiestufe über den Speisefisch auf unserem Teller. Auch Flamingos filtern diese Plastikpartikel aus dem Wasser und Seevögel wie am Strand angespülte Kadaver tragen dazu bei, dass sie über Aasfresser und Prädatoren in die terrestrische Nahrungskette gelangen. Selbst in Bienenhonig wurden diese Micropartikel bereits nachgewiesen.

Geisternetz zerschneiden Geisternetz Ostsee Geisternetz
Geisternetze am Ostseegrund. Die Abbildungen links und Mitte zeigen nicht nur, dass sich in den Maschenleinen Algen verfangen haben, sondern auch, dass dort das Wachstum von Algen an den Netzen bereits begonnen hat (Foto Kraus). Das rechte Foto zeigt ein älteres Geisternetz, das in 20 m Tiefe bereits 20 cm tief in den Meeresgrund eingelagert wurde (Fotos Kraus/Ewersen).

Eine ganz andere Seite der Geisternetze wird bei dem Projekt ebenfalls beleuchtet. Kunststoffnetze sind seit rund 60 Jahren in Gebrauch, was bedeutet, dass etliche dieser verlorenen Maschengeflechte schon seit vielen Jahren am Meeresgrund verweilen. Einzelne an das Projekt gebundene Bachelor- und Masterarbeiten sowie eine geplante Dissertation sollen dokumentieren und auswerten, inwiefern und wie schnell Fischereinetze in das Ökosystem eingebunden werden bzw. schon sind. Vielfältige Fragestellungen zur Problematik der Einbindung in das Ökosystem verdeutlichen, dass Geisternetze – trotz der von ihnen ausgehenden Gefährdung – in etlichen Fällen bereits die Rolle von künstlichen Riffen eingenommen haben. Für die Ostsee wären sie dann einerseits Lebensraum für Mikroorganismen und sessile Ostseebewohner wie Seeanemonen, Schwämmen oder Seescheiden, wie auch Kinderstube für Fische und andererseits zugleich eine Gefährdung. Weitere Informationen zu Geisternetze auch bei Wikipedia.